Der Begriff „Tiefenökologie“, vom norwegischen Professor Arne Naess in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt, ist in den in den USA schon seit den 1980ern bekannt. In England erlangte die Tiefenökologie vor allem durch die Gründung des Schumacher College und in Deutschland durch die Gründung des Vereins „Gesellschaft für angewandte Tiefenökologie,“ in den 1990er Jahren einen gewissen Bekanntheitsgrad. Andreas Schelakovsky und andere versuchten in den letzten zehn Jahren diesen Begriff auch in Österreich zu etablieren.
Doch zurück zu den Anfängen:
Woher stammt der Begriff „Ökologie“?
Ernst Haeckel (1834-1919), ein deutscher Arzt und Prof. der Zoologie in Jena, hat als erster 1866 den Begriff Ökologie definiert: „Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle „Existenz-Bedingungen“ rechnen können. Diese sind theils organischer, theils anorganischer Natur.“ Die Ökologie beschreibt also die Lebewesen in ihrer Umwelt sowie die Beziehung von Lebewesen untereinander.
Die Ökologie als Forschung versucht komplexe ökologische Beziehungen der Systeme auf möglichst einfache naturwissenschaftliche Grundaussagen zu reduzieren, und dann eigene für diese Systeme typischen Gesetze zu formulieren, trotz und wegen ihrer Komplexität. Festlandökologie, Süßwasserökologie und Meeresökologie zum Beispiel sind in sich geschlossene Systeme, die allerdings miteinander in Wechselwirkung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Ökologie als Wissenschaft hat neutral zu sein. Sie versucht Zusammenhänge zu erkennen und anschließend Aussagen zu machen, ohne eine Bewertung abzugeben.
Da der Mensch eben auch in diese Biosysteme eingebunden ist, gestaltet er bewusst oder unbewusst seine Umgebung mit. Das Buch „Silent Spring“ der US-Amerikanerin Rachel Carson (1907-1964), beschreibt die Auswirkungen des Pestizid- und Insektizideinsatzes in den USA und deren zerstörerische Folgen für die Ökosysteme. Diese Abhandlung gilt quasi als „Startschuss“ für die amerikanische Umweltbewegung und der Begriff „Ökologie“ wurde immer öfter in umweltpolitischen Zusammenhängen verwendet. Dadurch wurde aber auch die Bedeutung des Begriffes verändert. Die ursprüngliche neutrale Naturwissenschaft wurde zum einen politisch und zum anderen positiv besetzt, so dass ökologisch nun gleichbedeutend mit umweltverträglich, sauber und rücksichtsvoll wurde.
Doch auch beim Umweltschutz bzw. bei der „politischen Ökologie“ steht noch immer der Mensch mit seinen wirtschaftlichen Interessen im Mittelpunkt, und der wirtschaftliche Nutzen wird meist über den Schutz der Natur gestellt. Der Schwerpunkt der Betrachtungsweise liegt zu sehr auf dem Menschen als eigenes System anstatt auf der Wechselwirkung zwischen dem Menschen und anderen biologischen Systemen, zwischen Mensch und Natur. Das hat zur Folge, dass er nur solange bereit ist, Pflanzen und Tiere oder ganze Landschaften zu schützen, solange es keinen wirtschaftlichen Nutzen für ihn hat oder aber wir schützen was uns gleichzeitig nützt z.B. einen Wald, weil er uns mit Holz versorgt, gleichzeitig aber auch Schutzwald gegenüber Lawinen oder Überschwemmungen sein kann, oder eine Riedlandschaft, weil sie ein Naherholungsgebiet für die Bevölkerung in der Umgebung darstellt.
Von Ökologie zu Tiefenökologie:
Der norwegische Philosoph Arne Naess entwickelte in den 1970er Jahren eine „Ökosophie“, in der er Ethik, Normen, Werte und Verhalten mit der wissenschaftlichen Ökologie in eine neue Beziehung gebracht hat. Mit dem Begriff „Deep Ecology“ bezeichnete er den Übergang von ökologischer Wissenschaft zu ökologischer Lebensweisheit.
Arne Naess fasste, zusammen mit George Sessions, das Verständnis der Tiefenökologie in 8 Punkten zusammen:
- Alles Leben hat einen Wert in sich selbst, unabhängig von der Nützlichkeit für den Menschen.
- Reichtum und Vielfalt der Lebensformen tragen zum Wohlergehen bei und haben einen Wert in sich selbst.
- Menschen haben kein Recht, diesen Reichtum und diese Vielfalt zu verringern, außer um ihre überlebensnotwendigen Bedürfnisse auf eine verantwortliche Weise zu befriedigen.
- Die Einflüsse des Menschen sind übermäßig und werden immer schlimmer.
- Der Lebensstil des Menschen und die Bevölkerungszahl spielen eine Schlüsselrolle bei diesen Einflüssen.
- Die Vielfalt des Lebens, Kulturen eingeschlossen, kann nur gedeihen, wenn der Einfluss des Menschen abnimmt.
- Ideologische, politische, wirtschaftliche und technologische Strukturen müssen daher grundlegend geändert werden.
Alle, die die vorher genannten Punkte befürworten, haben die Verpflichtung an den notwendigen Veränderungen auf friedliche und demokratische Weise mitzuwirken.
(Diese Version des tiefenökologischen Verständnisses wurde von den Teilnehmern des „Deep ecology“ Kurses am Schuhmacher College im Mai 1995 formuliert).
Wenn man diese 8 Punkte befürwortet, können und werden sie den eigenen Lebensstil verändern. Die Umsetzung dieser Vorschläge kann aber nur geschehen, wenn man sich als Teil der Natur identifiziert und erlebt. Dieses Erleben kann oft auf vielfältige Art geschehen. So kann man es als überströmendes Glücksgefühl empfinden, wenn man auf einem Berggipfel sitzt und in das tief unter sich liegende Tal blickt. Dolores LaChapelle beschreibt dieses „Allverbundensein“, wenn sie sich beim Tiefschneefahren dem Berg, dem Schnee und der Erdanziehung anvertraut. Oder sie verbindet sich mit Hilfe von Tai Chi mit der Lebensenergie anderer Lebewesen und der Erde. Dadurch entsteht ein Gefühl der Verbindung und des Einsseins.
Lebensqualität statt Lebensquantität:
Die wissenschaftliche Ökologie fragt nicht danach, was für eine Gesellschaft am besten wäre, um ein bestimmtes Ökosystem aufrechtzuerhalten, das wird als politische oder ethische Frage betrachtet – Tiefenökologie ist sehr politisch. Sie fragt danach, warum für uns wirtschaftliches Wachstum und hoher Konsum so wichtig sind? Oder, ob die gegenwärtige Gesellschaft menschliche Grundbedürfnisse wie Liebe, Sicherheit und den Zugang zur Natur befriedigt. Ökologische Lebensweisheit wird gelebt, wenn man sein Verhalten der Erde gegenüber immer wieder in Frage stellt. Die Tiefenökologie trennt den Menschen nicht mehr von seiner natürlichen Umwelt, sondern es bedeutet Staunen und Bewunderung für die Natur. Die Erde wird als lebendiges System gesehen, und wir sind eingebunden in dieses Netz des Lebens, mit allen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen. Eine Landschaft wird geschützt, weil jedes Tier und jede Pflanze in dieser Landschaft dasselbe Recht auf Leben hat wie der Mensch, und dieses Recht gilt es zu schützen, egal ob der Mensch einen Nutzen davon habt oder nicht. Bei jedem Eingriff in die Natur wird bedacht, welche Folgen es für die anderen Mitlebewesen und für nachfolgende Generationen hat und haben kann. Es wird nun erkannt dass jedes Leben einen Sinn und eine Aufgabe auf dieser Welt erfüllt, auch wenn sie für den Menschen (meist) nicht erkennbar ist. Wir haben kein Recht mehr zu bewerten, was sinnvoll und sinnlos ist. Es steigt die Wertschätzung gegenüber unserer Umwelt, und der Mensch wird dadurch oft seine eigenen Interessen überdenken.
Mögliche Konsequenzen:
Die Verbundenheit mit allem Leben verändert unseren Umgang mit der Umwelt und führt zu nachhaltigem Denken und Handeln.
– Es kann zu einer größeren Wertschätzung unseren Nahrungsmitteln gegenüber führen. Wir kaufen von nun an vielleicht mehr Bioprodukte und/oder Produkte aus der Umgebung. Dadurch sind die Transportwege kürzer, es gibt weniger Luftverschmutzung durch den Schwerverkehr, es gelangen weniger Pestizide in den Boden, und wir unterstützen die heimische Landwirtschaft. Artgerechte Tierhaltung hebt die Massentierhaltung auf, und die qualvollen Tiertransporte quer durch Europa gehören endlich der Vergangenheit an. Die Ernährung wird vermutlich teurer, aber wir kaufen nur noch das ein, was wir wirklich brauchen. Die „kaufe 3 bezahle 1“ Einkäufe hören auf und es landen weniger Lebensmittel im Müll.
– Wir kaufen vermehrt Fair Trade Produkte (was sowohl die Lebensmittel- als auch die Textilbranche betrifft), sodass die Menschen in den Billigproduktländern einen sozialen Mindeststandard haben und von ihrer Arbeit leben können. Dadurch wird die Kleidung, wie die oben erwähnten Lebensmittel teurer, aber wir kaufen auch hier nur noch, was wir wirklich brauchen, und wir können sie mit gutem Gewissen kaufen.
– Wir beziehen Ökostrom. Auch bei diesem Punkt kann die Folge eine Stromerhöhung sein. Wir können uns auch die Frage stellen, ob unsere Geräte ständig auf Standby sein müssen, oder ob wir nicht nach Gebrauch den Stecker aus der Steckdose ziehen können.
– Eine weitere Frage, die sich möglicherweise stellt, ist, ob wir nicht öfter die öffentlichen Verkehrsmittel, das Fahrrad oder unsere Füße zur Fortbewegung verwenden können. Wenn wir doch auf das Auto angewiesen sind, ob es nicht eines mit geringerem Verbrauch oder eventuell sogar Elektroauto sein kann.
Diese Liste könnte noch in vielen Bereichen aus- und weitergeführt werden und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber auch mit diesen wenigen Punkten wird deutlich, worauf unser Konsumverhalten in Zukunft hinauslaufen sollte. Der Schwerpunkt unseres Konsums verlagert sich von Quantität zu Qualität, wodurch sich vielleicht unser Lebensstandard etwas verringern wird, aber die Lebensqualität wird sich sicherlich erhöhen. Die Veränderung tritt ein, wenn wir uns fragen: „In welcher Situation erfahre ich die höchste Befriedigung meines ganzen Wesens?“
„Alle Wissenschaften sind bruchstückhaft und unvollkommen und so ist es sehr oberflächlich anzunehmen, dass die Wissenschaft unsere Probleme lösen kann. Unsere Probleme lösen können nur wir, jeder einzelne von uns.“ (Arne Naess)
Quellennachweis:
- Tiefenökologie: wie wir in Zukunft leben wollen; (ein Sammelband)/(hrsg. Von der Schweisfurth-Stiftung im Auftr. der Gesellschaft für Angewandte Tiefenökologie). Franz-Theo Gottwald/Andrea Klepsch (Hrsg.). Eugen Dierichs Verlag 1995
What is Deep Ecology by Stephan Harding. http://www.schumachercollege.org.uk - Weisheit der Erde – Eine spirituelle Ökologie. Dolores LaChapelle. Neue Erde 1978
- Das wirkliche Menschsein wieder entdecken: Im Gespräch mit der Ökologie und Kulturforscherin Dolores LaChapelle. http://www.tiefenökologie.de
- Rachel_Carson, Ernst Haeckel: http://de.wikipedia.org
- „Deep Ecology“ Die historische und naturphilosophische Entwicklung der Ökologie von Henry David Thoreau bis Arne Naess. Ein Beitrag zur Geschichte der Biologie. Gudrun Kavalir. Diss. an d.naturwissenschaftlichen Fakultät d. Univ.Salzburg, 2001
Mensch,das ist ja echt informativ! Danke!😄 W